Anbaumethoden

Regenerative Landwirtschaft: Von einer guten Idee zu falschen Versprechen

Der kleine Biobauer, der Chemieriese Syngenta und der Lebensmittelmulti Nestlé: Sie alle schreiben sich regenerative Landwirtschaft auf die Fahne. Für die einen ist es das neue Bio plus, andere sehen die Gefahr, dass Big Food das Konzept kapert. Die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste erklärt im Beitrag aus der Ökologie & Landbau 02-2024, woher der Begriff kommt, wer ihn für welche Ziele einsetzt und wie Irrwege wieder verlassen werden können.

24.04.2024

Regenerative Landwirtschaft: Von einer guten Idee zu falschen Versprechen | nachhaltige Landwirtschaft ökologische Landwirtschaft

Begriffliche Umschreibungen für »nachhaltige Landwirtschaft« haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Agrarökologie, regenerative Landwirtschaft, Hybridlandwirtschaft – wer blickt da noch durch? Besonders die »regenerative Landwirtschaft« erfreut sich seit ein paar Jahren einer zunehmenden Aufmerksamkeit in der Presse und bei der Forschungsförderung. Was ist dran an diesem Begriff?

Schaut man nach den Wurzeln für den Begriff »regenerative Landwirtschaft«, findet man bei Dahlberg (1993) folgende Passage: »Regenerative Landwirtschaft wurde 1983 von Robert Rodale, dem Gründer des ökologischen Forschungsinstitutes Rodale Institute, formuliert. Er setzte sich öffentlich dafür ein und gründete später ein ›Regenerationsprojekt‹, das Bauern und Gemeinden ermutigte, regenerative Ansätze zu verfolgen«.(»Regenerative Organic Agriculture and Climate Change«, Rodale Insitute, 2014)

»Landwirtschaft ist regenerativ, wenn Böden, Wasserkreisläufe, Vegetation und Produktivität kontinuierlich besser werden, statt nur gleich zu bleiben.«

Außerdem gibt es eine Definition von Christen et al. von 2010: »Als Regenerative Landwirtschaft wird ein Ansatz in der Landwirtschaft bezeichnet, der Pestizide und Kunstdünger ablehnt und dabei die Regeneration des Mutterbodens, die Biodiversität und den Kreislauf des Wassers verbessern soll.« Das entspricht fast deckungsgleich den IFOAM-Prinzipien des ökologischen Landbaus. (»Principles of Organic Agriculture", IFOAM, 2020)

Noch weiter ging die australische Bodenökologin Christine Jones. Sie definierte 2003: »Landwirtschaft ist regenerativ, wenn Böden, Wasserkreisläufe, Vegetation und Produktivität kontinuierlich besser werden, statt nur gleich zu bleiben. Dabei nehmen auch Vielfalt, Qualität, Vitalität und Gesundheit von Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen gemeinsam zu.« Ihr Ansatz wird in Deutschland oft als »aufbauende Landwirtschaft« bezeichnet.

Einen großen Karriereschritt machte der Begriff 2015, als er sich mit dem Kampf gegen den Klimawandel verband. In Costa Rica gründeten im Juni 2015 rund 60 Menschen aus 21 Nationen, viele von ihnen aus der Ökolandbau-Szene, die internationale Basisbewegung Regeneration International. Sie will die globale Erwärmung umkehren und den Hunger in der Welt beenden, indem sie den globalen Übergang zu einer regenerativen Landwirtschaft vorantreibt.

Parallel dazu startete die französische Regierung im Vorfeld des Pariser Klimagipfels 2015 mit der Konferenz Climate-smart Agriculture die Vier-Promille-Initiative. Ihr Ausgangspunkt: Jährlich vier Promille mehr organische Bodensubstanz in allen Böden der Welt könne angeblich die anthropogenen Treibhausgasemissionen weitgehend kompensieren. Auf diese Initiative sprangen schnell multinationale Konzerne auf, mit der Idee, mit Carbon-Farming-Zertifikaten zusätzliche Erlöse zu generieren. Diese Zweiteilung in eine weitgehend im Ökolandbau verankerte Graswurzelbewegung und eine von der Agrar- und Ernährungsindustriegetriebene Instrumentalisierung des Begriffs hat sich in den letzten Jahren deutlich ausgeprägt.

Regenerative Landwirtschaft: »Big Food« kapert eine Idee

Auf dem Klimagipfel in New York im September 2019 gründeten 19 Weltkonzerne eine Koalition für »alternative farming practices« und nannten sie »One Planet Business for Biodiversity (OP2B)«. Mitglieder sind neben anderen Danone, die Kellogg Company, L’Oreal, Mars, Nestlé, Unilever und der Düngemittelkonzern Yara. Das Wort Ökolandbau fällt bei OP2B kein einziges Mal. Dafür wird »regenerative agriculture« als Basisbegriff eingeführt.

Der findet sich inzwischen in immer mehr Unternehmensversprechen. So hat sich PepsiCo verpflichtet, regenerative Praktiken auf sieben Millionen Hektar einzuführen (PepsiCo, 2021), Cargill will dies bis 2030 auf zehn Millionen Hektar umsetzen (AFN, 2020). Nestlé verspricht, bis 2025 1,2 Milliarden Schweizer Franken zu investieren, »um die regenerative Landwirtschaft entlang unserer Lieferkette anzukurbeln«. Und Erik Fyrwald, CEO von Syngenta, einem der weltweit größten Hersteller von Pestiziden, sagte, dass »die wirklich nachhaltige Zukunft der Landwirtschaft– ich nenne sie regenerative Landwirtschaft – jetzt Gestalt annimmt« (CNBC, 2021; übers. durch die Autorin).

»Diese Ungenauigkeit in der Definition lädt zu ökonomisch oder politisch motiviertem Greenwashing ein.«

Es überrascht nicht, dass in dieser Aussage kein Hinweis auf den Ökolandbau zu finden ist, da die Förderung von Anbaumethoden, die ohne synthetische Pestizide auskommen, im Widerspruch zum Kerngeschäft dieses Unternehmens steht. Aus Sicht der multinationalen Konzerne hat die regenerative Landwirtschaft einen großen Vorteil. Der Begriff ist bisher weder geschützt, noch gibt es eine international oder national eindeutige Definition. Viele Befürworter*innen des regenerativen Ansatzes sehen dies als Vorteil. Denn, so argumentieren sie, so könnten auch konventionelle Betriebe ermuntert werden, nachhaltiger zu wirtschaften.

Nur wird dabei etwas übersehen: Zum einen ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Einsatz chemisch-synthetischer Düngemittel und Pestizide dem Bodenleben schadet, welches man ja aufbauen will. Zum anderen lädt diese Ungenauigkeit in der Definition zu ökonomisch oder politisch motiviertem Greenwashing ein.

Regenerativ kontra Bio?

In Deutschland hat man häufig das Gefühl, die drei Begriffe Ökolandbau, Agrarökologie und regenerative Landwirtschaft stünden in einem Wettbewerb um die bessere Methode. Doch während das Wort »ökologisch« in Europa beziehungsweise »organic« weltweit geschützt ist, sind es die Bezeichnungen »agrarökologisch« oder »regenerativ« nicht. Auf europäischer Ebene und global ist zu beobachten, dass nicht nur Konzerne, sondern auch Entscheidungsträger*innen immer wieder auf Begriffe wie »regenerativ« oder »agrarökologisch« ausweichen, wenn sie nachprüfbare Änderungen des Systems und daher die explizite Nennung des Ökolandbaus vermeiden wollen, obwohl dieser ja eindeutig wissenschaftlich fundierte Vorteile vorweisen kann (Sanders und Kuhnert, 2023; Hülsbergen et al., 2023).

Ein Mähdrescher fährt über ein Weizenfeld

Abb. 1: Kann das nachhaltig sein? Wenn die industriell ausgerichteten globalen Lebensmittelriesen mit dem Begriff „regenerative Landwirtschaft“ werben, ist das ein Fall von Greenwashing.

In diesem Konzept eines »new framing« liegt eine große Gefahr für eine ehrliche und effektive Transformation der Landwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit. Die meisten Konzerne verstehen unter regenerativer Landwirtschaft ohnehin nur eine konservierende Bodenbearbeitung mit Pestizid- und Mineraldüngereinsatz, garniert mit Zwischenfrüchten und Blühstreifen. Deutlich macht die Greenwashing-Gefahr eine Studie des Investorennetzwerks FAIRR vom Herbst 2023. Demnach betonten 50 von 79 untersuchten großen Agrifood-Unternehmen, dass regenerative Landwirtschaft eine Lösung für Klimawandel und Artensterben sei. Doch zwei Drittel dieser 50 Konzerne hatten keinerlei quantifizierbare Ziele angegeben und nur jeweils vier Unternehmen nannten ergebnisorientierte Ziele oder konkrete Summen, die sie investieren wollen (FAIRR, 2023).

»Die meisten Konzerne verstehen unter regenerativer Landwirtschaft ohnehin nur eine konservierende Bodenbearbeitung mit Pestizid- und Mineraldüngereinsatz, garniert mit Zwischenfrüchten und Blühstreifen.«

Inzwischen merken auch die Unternehmen, dass sie konkreter werden müssen. Die von den großen Agrifood-Konzernengetragene Plattform SAI (Sustainable Agriculture Initiative Platform) legte im September 2023 ein »global framework for regenerative agriculture« vor (SAI, 2023). Darin werden Praktiken und Indikatoren genannt, an denen regenerativ arbeitende Betriebe gemessen werden sollen. Pestizid- und Nährstoffmanagement werden genannt, doch die Reduzierung dieser Inputs fehlt als Vorgabe. Gentechnisch veränderte Pflanzen erwähnt das Papier gar nicht. Die Anforderungen, um als »Regenerative Farm« anerkannt zu werden, sind vage formuliert und wenig ambitioniert. Eine externe Zertifizierung wird erwähnt, aber nicht vorgegeben.

Doch es gibt sie schon: Der auch im Ökolandbau tätige Zertifizierer Control Union bietet mit regenagri landwirtschaftlichen Betrieben und ihren Abnehmern eine Zertifizierung an. Basis sind zahlreiche regenerative Maßnahmen inklusive Pestizid- und Mineraldüngerreduktion, die in einen Bewertungsrahmen einfließen, der allerdings nicht öffentlich zugänglich ist. Zertifiziert sind bisher laut Unternehmens-Webseite über 250 000 Betriebe mit zusammen einer Million Hektar Land. Dabei liegen die Schwerpunkte bei Baumwolle aus Indien und der Türkei sowie Kaffee und Soja aus Brasilien. Zertifizieren lassen können sich auch die Abnehmer der Erzeugnisse. Sie können die »regenagri regenerative certified trust mark für PR und öffentliche Aussagen« nutzen, schreibt Control Union. Das heißt: Produkte aus zertifiziert regenerativer Landwirtschaft (mit Pestiziden, Mineraldünger und Gentechnik) werden künftig in Konkurrenz zu Bioprodukten antreten – und die Verbraucher*innen verwirren.

Auf der anderen Seite ist es natürlich zu begrüßen, wenn sich immer mehr konventionelle Betriebe mit Managementmethoden beschäftigen, die zum Bodenaufbau beitragen können, und sich unter einem »Label« zusammenfinden, um sich auszuprobieren und Erfahrungen auszutauschen. Solange das nicht einfach nur in ideologischen Pflugverzicht mündet, der nach wie vor in konventionellen Betrieben mit einem hohen Glyphosat-Einsatz erkauft wird, wäre es eine durchaus begrüßenswerte Sache.

Es mangelt an Geldern und Forschung

Was auch klar ist: Für die Entwicklung und Verbreitung agrarökologischer und regenerativer Techniken wie Permakultur und Agroforst innerhalb des Ökolandbaus gibt es noch deutlichen Spielraum. Womöglich wäre es dafür förderlich, ein solches zusätzliches Engagement mit einem Label auszudrücken, das Bio als Basis verwendet. In den USA entstand für diese Idee die Regenerative Organic Alliance mit inzwischen einigen Hundert »Regenerative Organic Certified«-Betrieben weltweit, davon allerdings erst drei in der EU.

»Wenn die EU-Kommission ihr Ziel ›25 Prozent Ökolandbau in Europa 2030‹ wahr machen will, dann müssen auch 25 Prozent der Forschungsmittel in diese Richtung fließen.«

Doch ein Zertifikat wird nicht genügen, wie Volkert Engelsman, Vorstand des Biogroßhändlers Eosta, bei der Gründung der von ihm mitinitiierten Business Alliance for Regenerative Agriculture (BARA) sagte: »Wir haben viel über die Menschen und den Planeten gesprochen, aber wir bezahlen die Bauern immer noch nur pro Kilo. Solange sich das nicht ändert, werden wir nicht weiterkommen.« (Eosta, 2022)

Doch nicht nur bei der Bezahlung, auch in der Forschung hapert es noch: In Deutschland (und Europa) fließen bisher nur zwei Prozent der Agrarforschungsmittel in Ökolandbau-nahe Forschungsfelder. (Agrarpresseportal, 2022) Das steht in krassem Gegensatz zu den Ökoaktionsplänen auf europäischer und nationaler Ebene und den seit Jahren international belegten Fortschrittspotenzialen und hat eindeutig politische Gründe. Wenn die EU-Kommission ihr Ziel »25 Prozent Ökolandbau in Europa 2030« wahr machen will, dann müssen auch 25 Prozent der Forschungsmittel in diese Richtung fließen. Das Gleiche gilt für das Ziel »30 Prozent Ökolandbau in Deutschland«: Es erfordert, 30 Prozent der Mittel in die Ökoforschung zu investieren.

Quellen

 

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Der Begriff ist in aller Munde, aber nicht klar definiert: die regenerative Landwirtschaft. Für die einen ist es das neue Bio plus, andere sehen darin die Gefahr, dass Big Food den Begriff ...   

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